Am 13. September jährt sich der Tag, an dem vor 100 Jahren der Taubstummen-Turnverein in Frankfurt am Main gegründet wurde. Dieser Verein ist damit einer der ältesten deutschen Gehörlosen- Sportvereine. An diesem Tag fand das 11. Deutsche Turnfest in der alten Kaiserstadt statt. Turnkameraden aus Leipzig nahmen daran teil. Darunter war auch der mittlerweile verstorbene Ernst Schmidt, der hierher zuzog und den Verein gründete, zusammen mit folgenden Kameraden:
August Frank, Michael Brandt, Georg Blank, Emil Arnold, Louis Süßfeld, Adam Rausch, Rudolf Lorenz, Christian Schröder, Friedrich Martens, Gustav Ziege, Adam Scharf, Bernhard Spier, Waldemar Weinberg, John Tomby, Wilhelm Mehnert, Karl Rosenblath, Karl Hagemann und Wilhelm Merz.
Im 1. Vorstand des neu gegründeten Vereins waren: Vorsitzende Ernst Schmidt und Friedrich Martens, Kassenwart Bernhard Spier, Schriftführer Wilhelm Mehnert und Adam Rausch, Turnwart Georg Blank. Der erste Turnabend fand am 21. Januar 1909 in der von der Stadtverwaltung Frankfurt zur Verfügung gestellten Turnhalle der ehemaligen Allerheiligenschule, Hanauer Landstraße, statt. Die Turnhalle wurde fast drei Jahrzehnte vom Verein genutzt. Sein erstes Schauturnen hielt unser Verein während des 10. Stiftungsfestes der damaligen Taubstummenschützen-Gesellschaft am 12. September 1909 ab. Die erste Wanderung unternahm der Verein am 3. Oktober 1909 nach Hochstadt und am 26. Februar 1910 war die erste Kostümball-Veranstaltung.
Im Laufe der Jahre entwickelte sich der Verein zu einem festen Bestandteil der Gehörlosensportgemeinschaft, die bis in die heutige Zeit fortdauert. So trat 1910 unser Verein der Deutschen Turnerschaft bei und schloss sich dem neu gegründeten Verband Deutscher Taubstummen- Turn- und Sportvereine, dem heutigen Deutschen Gehörlosen-Sportverband, an. 1911 war der erste Maskenball und eine Faustballabteilung wurde aufgestellt. Die Betätigungsfelder vergrößerten sich zusehends mit der Bildung einer Wander- und Schwimmabteilung unter Rudolf Lorenz. Eine Fahnenweihe wurde Ende 1913 beim fünften Stiftungsfest abgehalten.
Der Erste Weltkrieg unterbrach 1914 die erfolgreiche Vereinsentwicklung. Die Turnhalle wurde zu einem Kriegslazarett umfunktioniert. 1916-1918 nahm uns der Frankfurter Turnverein 1860 auf, wofür dieser eine Entschädigung bekommen sollte, die aber abgelehnt wurde. Die Summe spendeten wir dann für die im Kriege stehen Turnbrüder als Liebesgaben.
Ab März 1919 konnten wir wieder unsere alte Turnhalle der Allerheiligenschule benutzen. Erschwert wurde in den Nachkriegsjahren der Vereinsbetrieb durch Arbeitslosigkeit und Inflation. Beim 1. Deutschen Taubstummen-Turn- und Sportfest 1921 in Erfurt hat unser Verein gut abgeschnitten. Auch wurde eine Fußball-Abteilung gebildet, die sich der Turn- und Sportgemeinde „Eintracht“ angeschlossen hat – leider hatte sie nur ein Jahr Bestand. 1923 wurden die Jugendabteilung und eine Frauenabteilung gebildet. 1926 wurde das 2. Deutsche Taubstummen-Turn-und Sportfest auf den Sandhöfer Wiesen durchgeführt. In den laufenden Jahren gab es eine rege sportliche Betätigung, wobei alle Abteilungen (Turnen, Leichtathletik, Schwimmen und Wandern) zahlreiche Erfolge einheimsen konnten.
Mit der Machtübernahme durch die NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) unter Adolf Hitler 1933 wurden alle deutschen Vereine und Verbände gleichgeschaltet. Das bedeutet, dass alle den Be- fehlen dieser Partei zu folgen hatten. Der Verein konnte seine Aufgabe, die Leibesübungen unter den Gehörlosen, jedoch weiter ausüben. Doch es wurde allen Vereinen auferlegt, alle jüdischen Mitglieder auszuschließen, gemäß dem Gesetz zur so genannten „Reinheit“ des arischen Blutes“, was einen großen Verlust für den Verein bedeutete. Dabei haben einige Mitglieder des Vereins sich unrühmlich hervorgetan.* Während des Zweiten Weltkrieges wurde die Fußball-Abteilung wieder neu gegründet, die jedoch erneut nicht lange hielt. Viel Schaden erlitt der Verein durch den totalen Krieg, außerdem gingen viele Vereinsunterlagen dabei verloren, so dass die Vereinstätigkeit stark behindert wurde. Zwei Mitglieder – Heinrich Heun und Karl Schmuck – starben durch Kriegeinwirkung.
1949 veranstaltete der 1946 wieder gegründete Deutsche Gehörlosen-Sportverband, der vorerst nur auf die britische Zone (Nord- und Westdeutschland) beschränkt war, unter dem damaligen Verbandsvorsitzenden (dem späteren Vorsitzenden des Deutschen Gehörlosen-Sportverbandes) Heinrich Siepmann das 1. Deutsche Verbandssportfest nach dem Krieg in Frankfurt am Main und Bad Vilbel. Organisiert wurde die Veranstaltung unter der Leitung von Karl Hagemann. Trotz widriger Umstände wurde es zu einem vollen Erfolg. Einhergehend mit dieser Veranstaltung wurde ein erstes Jugendlager durchgeführt, deren Leitung Joseph Nolte (Köln) und Fridolin Wasserkampf inne hatten. Die damaligen Jungen und Mädchen sind heute alle gestandene Leute, Eltern, Großeltern. Viele davon kamen mit dem Älterwerden in leitende Positionen in den Sportvereinen.
Der Gründer Ernst Schmidt konnte nach 1945 den Verein wieder aufbauen und das Vereinsleben und die sportliche Tätigkeit konnten nach und nach wieder ihren Weg finden. Zuerst konnte die Wander- und Skiabteilung durch Helmut Warmers wieder aufgenommen werden. Eine Leichtathletik-Abteilung wurde gebildet und zuerst von Willi Müller geführt. Unter tatkräftiger Leitung von Karlheinz Rosenblath wurde die Abteilung weiter aufgebaut. Er brachte sie zur Spitzenstellung unter den deutschen Gehörlosen-Sportvereinen. Schwimmen unter der Leitung von Gerhard Bierwirth und Wolfgang Lorenz sowie Tischtennis unter Waltraud Balssun-Wasserkampf haben die Abteilungen ebenfalls hochgebracht. „Bimbo“ Stäcker führte seine Basketballmannschaft zu zahlreichen Erfolgen. Der Ruf unserer Sportler ging weit über die Stadt hinaus. Unsere Faustballmannschaft wurde 13 Mal Deutscher Meister. Hervorzuheben sind hier unter anderem die Leichtathleten Alfons Hahn, Gerhard Heintges sowie „Bimbo“ Herbert Stäcker, die an mehreren Weltspielen der Gehörlosen teilnahmen. Auch die Sportlerinnen und Medaillengewinnerinnen bei den Weltspielen wie Waltraud Balssun-Wasserkampf, Christa Frei (beide Tischtennis), Gerda Müller-Adrian (Leichtathletik) sind hervorzuheben. Von ihren Erfolgen zeugen zahlreiche Pokale und Urkunden. Auch Ehrungen wurden den Sportlern für ihre Leistungen auf hohen Ebenen zuteil. Von der Stadt Frankfurt wurde der Verein mit der goldenen Plakette geehrt. Vergessen wollen wir auch nicht, dass viele andere Aktivitäten und einfache Mitglieder mit ihren Leistungen und Beiträgen das Rückgrat des Vereins bildeten.
Im Laufe der weiteren Jahre verschoben sich die sportlichen Interessen. Zu dem ist „Integration“ kein Fremdwort für den Verein. Er ist längst Heimat für viele gehörlose Einwanderer geworden. Heute besteht der Verein aus den großen Abteilungen Basketball, Fußball, Tennis und Volleyball sowie Einzelsportler.
Fridolin Wasserkampf (unter Verwendung von anderen Quellen)
* Lothar Scharf: Buch: Rechtlos und schutzlos, taub und stumm! Gehörlose Juden unterm Hakenkreuz 1933-1945.
Jahre | 1. Vorsitzender | 2. Vorsitzender | Kassierer |
1908-1911 | Ernst Schmidt | ||
1911-1913 | August Frank | ||
1913-1923 | Ernst Schmidt | ||
1923-1927 | Karl Hagemann | ||
1927-1929 | Ernst Schmidt | ||
1929-1934 | Karl Hagemann | ||
1934-1936 | Emil Weisel | ||
1936-1942 | Karl Hagemann | ||
1942-1946 | Ferdinand Kiefer | ||
1946-1948 | Ernst Schmidt | ||
1948-1949 | Willy Gierig | ||
1949-1956 | Karl Hagemann | ||
1956-1959 | Helmut Warmers | ||
1959-1963 | Karlheinz Rosenblath | ||
1963-1967 | Fridolin Wasserkampf | ||
1967-1976 | Karlheinz Rosenblath | Rainer Steinhoff-Klein | |
1976-1977 | Alfons Hahn | Rainer Steinhoff-Klein | |
1977-1979 | Fridolin Wasserkampf |
Rainer Steinhoff-Klein |
|
1979-1982 | Axel R. Schäfer | Rainer Steinhoff-Klein/Dieter Messing | |
1982-1987 | Robert Adrian | Helmut Warmers | Dieter Messing/Josef Feldmann |
1987-1990 | Fridolin Wasserkampf | Josef Feldmann | |
1990-1996 | Karlheinz Rosenblath | Josef Feldmann | |
1996-1998 | Tilo Rauch | Josef Feldmann | |
1998-2004 | Gerda Rosenblath | Josef Feldmann/Thomas Göttler | |
2004-2007 | Thomas Göttler | Katja Düll | Tilmann Asendorf |
2007-2015 | Dennis Nagel | Oliver Schiemann/ Edris Saighani | Mesut Arslan |
2015-2017 | Fabian Palencia Contreras | Florian Gunkel | Oliver Schiemann |
Jahre | Präsident | Vizepräsidenten |
2017-2019 | Fabian Palencia Contreras |
Christoph Perner & Timm Höck (Finanzen), Uwe Gruhl (Sport), Angelina Thiel (FreeHand), Maike Hartwig (PR) und Stine Walter (Verwaltung) |
2019-2021 | Fabian Palencia Contreras |
Christoph Perner (Finanzen), Uwe Gruhl (Sport), |
2021-2023 | Fabian Palencia Contreras |
Mesut Arslan (Finanzen), Oliver Tuckermann (Sport), Elaine Kollien (FreeHand), Uwe Gruhl (PR) |
2023-2025 | Fabian Palencia Contreras |
Kai Wawrzinek (Finanzen), Oliver Tuckermann (Sport), Sabine Arslan (FreeHand), Lars Sodomann (PR) |